Freitag, 24. Oktober 2014

Studieren mit Kind?

Ein Kind im Studium bekommen. Perfekt - meinen die einen.
Ein Studium mit Kind abschließen. Schwierig - meinen die anderen.

Meine Tochter war zehn Monate alt, als ich mit dem Studium angefangen habe. Nun war ich nie sonderlich heiß darauf, unbedingt Studium UND Kind zu wuppen. Aber ich wollte sowohl das eine als auch das andere. Nach nun mehr als vier Jahren wage ich eine Bilanz und eine abschließende Meinung:

Selbst in meinem Jahrgang gab es noch Profs, die einem das Kinderkriegen ans Herz legten. "So viel Zeit hat man nie wieder." Der Satz ist mir noch immer in den Ohren. Ist das so? Meine Vorlesungszeiten sind regulär natürlich nicht so lang, wie ein Arbeitstag - richtig. Durchschnittlich bin ich jedoch sieben Stunden unterwegs. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitungszeiten, die ich eigentlich (!) aufwenden müsste. Andersherum gibt es auch Tage, an denen ich frei habe - oder mir frei nehme. Aber es gibt auch Samstage, an denen Vorlesungen stattfinden. Oder Horrorvorlesungen, die erst nach 19 Uhr enden. Der große Zeitvorteil ist aber natürlich in den Ferien zu sehen: Rund acht Wochen im Sommer und zwei Wochen im Winter gehören zu den Zeiten, die ich mal arg vermissen werde. Meine Bilanz: Ich habe nie wieder so viel Zeit, wie als Studentin in den Ferien. Ansonsten bevorzuge ich, schätzungsweise, einen geregelten Tagesablauf mit Feierabend, sobald ich Zuhause bin.

Unis werden doch immer familienfreundlicher!
Ach ja? Weil sie einen Wickeltisch hinstellen?! Dahingehend kann ich keine positiven Erfahrungen feststellen. Vorlesungen werden bei uns nur einmalig angeboten, d. h., ich kann mir meinen Stundenplan nicht so legen, dass es mir in meinen Familienalltag (so z. B. in die Kita-Öffnungszeiten) passt. Und wie möchte eine Uni Mütter oder Väter sonst behandeln? Bevorzugen is' nicht - fände ich auch unfair. Die einzige Möglichkeit besteht darin, sich im ganz individuellen Fall vertrauensvoll an den jeweiligen Prof zu wenden. Meine Bilanz: Familienfreundliche Hochschulen klingen vielversprechender als sie sind.

Studium und Kind sind eine Doppelbelastung, oder?
Ich sage vorweg: Ja. Aber ich kenne es auch nicht anders und kann mich nur mit anderen vergleichen. Meine kinderlosen Kommilitonen können sich ihrem Lern- und dem vorgegebenen Vorlesungsrhythmus anpassen. Mittags Schluss? - Erstmal eine Runde auf die Couch, dann ein bisschen Nachbearbeitung und später noch auf 'n Bierchen mit den anderen daten (oder lernen). Vorlesungsbeginn erst mittags? - Sauber! Die Nacht lang werden lassen und schön bis 10 Uhr ausschlafen. Und bei mir so?! Da ist eins wie das andere: Je nach Arbeitsanfall habe ich Glück oder Pech, ob ich ausgeschlafen bin - mein Wecker klingelt jeden Tag zur gleichen Zeit. Mit oder ohne Augenringe muss das Kind in die Kita. Dabei bin ich eher Typ Nachteule: Tagsüber ein kleines Schläfchen und abends/nachts gern produktiv. Auch gern in Bezug auf Bierchen mit Kommilitonen. Aber auch abends erfordert es zumeist meine Person, die das Kind ins Bett verfrachtet und anschließend aufpasst, dass es aus selbigem nicht herausfällt. Und - auch ganz wichtig - die Lernerei geht zusammen mit einem Kleinkind gern mal an die Nerven. Allein schon deshalb, dass man nie wirklich Feierabend hat und Unmengen an Daten im Kopf umherschwirren, die sich unglücklicherweise mit der wohl gerade aktuellen Schuhgröße des Kindes und den wichtigen Freizeitterminen des Kindes vermischen. Von den heißen Prüfungsphasen mal ganz zu schweigen - da bin ich eher Mutter in Funktion als Mutter mit Herz. Es fällt mir oftmals schwer, abzuwägen, ob ich jetzt was für's Studium tue, für mich, ob ich die nächste Bastelanleitung aus dem Netz ziehe oder nach einer dicken Jacke in Gr. 122 in unzähligen Shops suche. Grundsätzlich aber versuche ich, den späten Nachmittag voll und ganz dem Kind - gekoppelt mit notwendigen weiteren Dingen - zu widmen. Am Abend wäge ich dann vorgenanntes ab und mache letztlich alles halbwegs parallel. Meine Bilanz: Ja, es ist eine Doppelbelastung, der zumindest ich nicht zu meiner Zufriedenheit gerecht werde. Außerdem kann ich keine andere Position beurteilen. Es gibt viele Studenten, die neben dem Studium für Ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen - das ist belastend. Das habe ich auch mal versucht - begnüge mich aber nun einfach nur mit BAföG.

Wie is'n das dann mit den Studentenparties?
Tjaaha, ... Schwierig! Ich bin nicht der Typ Student, der das zweimal wöchentlich inkl. Aftershow-Party auf der Toilette braucht. Aber man feiert außerhalb des Studiums wahrscheinlich nie wieder in irgendeiner Location, in der man zumindest 30 % der Leute persönlich kennt. Nie wieder ist das Bier so günstig; die Musik so gut. Nie wieder wird man so häufig in der Woche zu einer Party gehen (können). Ich denke auch nicht, dass ich mich nach dem Studium zu kuriosen Motto-Parties hinreißen lasse. Und nie wieder werden die Tage nach einer Feier so interessant sein, an denen man die neuesten News über Musik-, Liebes- und Alkoholtrunkene austauscht. Daher versuche ich für meine Verhältnisse möglichst viele Feiern mitzunehmen, wenngleich auch beschränkt. Das heißt so viel wie: abends später losfahren, Spaß haben ohne Alkohol und bestmöglichst am Morgen nach Hause zu kommen, sodass das Kind nahtlos zur Kita gebracht werden kann. Nun bin ich keine Anfang zwanzig mehr - dementsprechend ist der Tag dann für mich auch gelaufen. Auch wenn es schöner ginge: Ich bin froh, dass ich diese Möglichkeit habe, die ein oder andere Party mitzunehmen. Meine Bilanz: Mit Kompromissbereitschaft kann eine Muddi-Studentin auch feiern gehen.

Und finanziell haut das hin?
Na ja, das ist immer die verkehrte Frage an einen Studenten. Auch mit Kind. Aber ja: es geht. Ich kenn' es ja eh nicht anders und man passt sich seinen Möglichkeiten an. Vater Staat hilft - außerhalb vom BAföG - hinsichtlich der Kitakosten oder auch Wohngeld aus. Dieser Papier- und Antragskram ist zwar äußerst nervig, aber ich bin für diese zusätzliche Unterstützung sehr dankbar. Wenn es mal eng wird (und auch so) habe ich noch meine Oma, die mich unterstützt. Zudem gibt es die Option, zinsgünstige Studienkredite zu beanspruchen. Ich achte grundsätzlich darauf, was ich für meine Tochter kaufe. Getragene Sachen oder anderweitige Sachen, die ausgedient haben, verkaufe ich wieder. Das hält sich oft ganz gut die Waage. Abstriche macht man m. E. in Sachen Urlaub. Ich will mich zwar nicht beklagen, hätte aber schon große Lust auf Flugreisen und/oder Rucksacktouren. Das funktioniert in meinen Vorstellungen einerseits nicht mit Kind und andererseits fallen dann Kosten für quasi zwei Personen an. Schwer realisierbar. Ebenso Auslandssemester oder Sprachreisen. Meine Bilanz: Ja, es geht. Sofern man die Unterstützung nutzt, die man erhalten kann und sich anpasst.

Was is' das Schönste am Studium mit Kind?
Ganz klar: Die Ferien. Kostbarste Zeit ist das für Mutter & Kind. Und die Flexibilität. Bei krankem Kind muss ich niemandem Rechenschaft ablegen - nur ich muss mich dann organisieren.

Und das Blödeste?
Der fixierte Alltag, der sich nicht an gewollte studentische Gewohnheiten anpassen lässt. Und die Abwägung über den Zeiteinsatz - ich schaffe einfach nicht das Pensum, was manch' anderer schafft. Auch blöd: gedanklich nie Feierabend haben. Und viel blöder: weder dem Kind noch dem Studium dem eigenen Anspruch nach total gerecht zu werden - dieser ständige Kompromiss.

Fazit:
Natürlich sind hier und da Vorteile vorhanden, die ich auch nicht wegdenken mag. Grundsätzlich aber würde ich die Kopplung von Studium und Kind nicht unbedingt empfehlen. Da sollte man sich auch nicht an Sätze wie "Na wenn du dann in den Beruf startest, ist das Kind schon aus dem Gröbsten raus" klammern. Viel mehr Sinn macht es in meinen Augen, bereits die erste Sprosse der Karriereleiter erklommen zu haben, um dann mit höherer Wahrscheinlichkeit in den Genuss der work-life-balance mit Kind in klar abgegrenzter Weise zu kommen. Ich bin selbst gespannt, ob ich meine Ansicht nach Eintritt in das Berufsleben mit Kind revidiere. Wir lesen uns an dieser Stelle in zwei Jahren wieder.






Sonntag, 19. Oktober 2014

Tante Lotti

Im alten Ostpreußen hatte meine Oma schon die eine Freundin: Lotti. Sie gingen zusammen zur Schule, verloren sich im Krieg aus den Augen und fanden sich Jahre später wieder. Sie hielten immer engen Kontakt, sahen sich trotz 300 km Entfernung oft. Bis heute.


Für mich war die Freundin meiner Oma schon immer "Tante Lotti" - eine wunderbar niedliche Frau mit übergroßer Brille in hellbrauner Fassung, einem Hang zu Strickpullovern und Perlenketten und hellbraunem gelockten Haar. Eine Frau, die hellauf begeistert war, was die Supermärkte so zu bieten haben. In ihrem Dorf gab es bis vor kurzer Zeit lediglich eine Art Tante-Emma-Laden, weshalb sie viele Produkte also gar nicht kannte. Ihr Mann verstarb früh, sie selbst ist Mutter von drei Kindern und lebt in einem großen Einfamilienhaus mit eigenem Garten. Sie brachte immer selbst gemachte Marmelade, eingewecktes Kompott oder frisches Obst und Gemüse aus dem Garten mit. Sie spielt zu gern Halma, singt inbrünstig Heimatlieder und summt viertelstündlich Melodien, spielt leidenschaftlich Akkordeon, ist vielseitig in Vereinen aktiv und hält es für die beste Medizin, im Fall der Fälle auf nüchteren Magen einen klaren Schnaps zu trinken. Jedes zweite Wort von ihr ist 'herrlich' oder aber eine Abwandlung davon. Ich bin mir sicher, nie einen positiveren Menschen getroffen zu haben. Auch wenn sie etwas hinterweltlerisch lebt, so ist ihre Lebensfreude endlos ansteckend. Und damit übertreibe ich wahrlich nicht.


Vor knapp einem Jahr wurde bei ihr Brustkrebs festgestellt. Sie habe das schon lange bemerkt, wollte sich aber keiner Behandlung unterziehen. Ihre Reaktion nach der Diagnose hat mir imponiert - und mich zugleich beängstigt: Das wird schon wieder gut werden. Und wenn nicht... - sie hatte ein tolles Leben. Es wird schon alles richtig so sein.


Sie unterzog sich trotzdem der notwendigen Chemotherapie - und ließ sich nicht kleinkriegen. Es ging ihr gut. Sie freute sich so sehr auf das Ende der Behandlung, sodass sie wieder ihren Garten bewirtschaften konnte. Das ging nur kurze Zeit gut - eine Erkrankung des Magens erforderte eine OP. Seitdem ist diese unglaublich starke Frau in ihrer Lebensfreude getrübt. Körperlich ist sie so geschwächt, dass sie nun aus freien Stücken auf einen Platz im Altersheim wartet. Nunmehr kämpft sie auch mit Wasser in den Beinen. Und ob der Krebs komplett weg ist, weiß irgendwie auch niemand.


Über's Telefon versagt die Kraft ihrer Worte. Sie kann nichts mehr essen. Es schmeckt nichts mehr. Und sie hat überhaupt keine Lust mehr. Sie kann nur noch rumsitzen, hat keinen Elan.



War's das jetzt? Sagt man das nicht immer, dass es mit dieser Einstellung dann bald zuende geht? Meine Oma jedenfalls ist derzeit zutiefst betrübt. Sie wollten sich doch auch nochmal sehen. Ich hoffe, dass hier die Geschichte zu 'Tante Lotti' nicht zuende geht. Und ich weiß auch nicht, was gut ist, aber ich wünsche der mittlerweile 87-jährigen Lotti, dass es ihr gut geht - wie auch immer das ist. Und beiden wünsche ich, dass sie sich nochmal sehen - was allerdings bedeutet, dass ich meine Oma hinfahre. Aber ich, ich möchte die Tante Lotti in lebensfroher Erinnerung behalten. Als Vorbild.