Montag, 23. Juni 2014

Hintern hoch!

Es gibt solch' Punkte im Leben, an denen is' einfach alles scheiße. Körperliche Leiden, psychische Schwierigkeiten, endlose Genervt- und Gereiztheit. Das ertrage ich 'ne ganze Weile. Gebadet im Selbstmitleid. Morgens schon mit der Angst aufstehen, dass es heute wieder doof wird. Und wie wird's dann? Doof. Yey. Nö, da hab ich jetzt keinen Bock mehr drauf.


Mein oller Zahn, der mich seit 1,5 Wochen penetriert, wird gekillt, wenn er jetzt nicht mal Ruhe geben will.
Und gelaufen bin ich zwei Wochen schon nicht. Schluss! Laufen ist gegen Gezicke. Und gegen Müdigkeit und Kopfweh. Und für ein gutes Gesamtgefühl. Und auch Muskelkater ist geil!
Meine Eltern? Die sehe ich derzeit als Auslöser meines Unwohlseins. Sind sie das wert? Nein. Aber ich brauch' noch ein Weilchen, um mich aus der Schusslinie zu rücken.

Es ist Zeit, sich (wieder) in den eigenen Hintern zu treten. Hängenlassen bringt nichts.


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In eigener Sache:
Liebe J. aus (derzeit) P.: Deine Karte samt aller Worte war das für mich schönste Geburtstagsgeschenk. Dafür danke ich dir!
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Sonntag, 15. Juni 2014

Sind das noch Menschen?

Zu meinen "Eltern" habe ich ein sporadisches und angespanntes Verhältnis. Gängiger Standard waren gelegentliche Telefonate und Besuche - wobei ich stets dort war.

Als ich meinen Bachelor in der Tasche hatte, gratulierten sie mir beiläufig. Das hat mich sehr getroffen. So sehr, dass ich in einem Telefonat all meinen Frust abließ. Intention war, dass ich mir mehr Interesse wünsche. Dass sie sich mal melden. Interesse auch an meiner Tochter haben.

Nach diesem Telefonat herrschte lange Funkstille. Bis ich irgendwann einen verpassten Anruf von "Mutti" auf dem Display sah. "Du meldest dich ja gar nicht mehr. Bist du sauer?". Wow. Wieder nichts begriffen. Trotzdem vereinbarten wir, dass sie meine sich nach ihrer Oma sehnende Tochter einen Tag lang zu sich nimmt. Gesagt. Getan. Verfrüht kehrte nach diesem "Tag" ein panisch-heulendes Kind, angepisste Eltern und eine biestige Stiefoma bei mir ein. Mein Kind sei "unnormal"(!) panisch bei dem sich austobenden Gewitter gewesen. Wie furchtbar! Sie hat sich ja gar nichts getraut. "Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand aus MEINER Familie so ängstlich war", tönte meine Stiefoma. Alle anderen Kinder DER Familie seien an diesem "Tag" so lieb gewesen. Klar. Vorzeigekinder. Zwanzig Minuten dieses Herrschaftsbesuchs in meiner Hütte musste ich mit Bemängelungen meines Kindes ertragen. Ja, das hat mich verletzt. Viel schlimmer ist aber, dass mein Kind seitdem tatsächlich mehr als panisch auf Gewitter reagiert. Die erste Frage des Tages lautet nun immer, ob es heute gewittert und wir nicht nochmal den Wetterbericht hören können. Bei einer dunklen Wolke am Himmel - und sonstigem Sonnenschein - steht meine Tochter panisch zitternd am Fenster und traut sich nichts. Allein zur Toilette geht sie seitdem auch nicht. Nun frage ich mich doch, was an diesem besagten "Tag" vorgefallen ist - denn so war sie vorher nicht.



Nun telefonierte ich heute mit meiner Omi, die gestern Besuch von meiner Mutter hatte (Wunder!). Dort wurde ordentlich Dampf abgelassen:  Meine Tochter ist ein sehr schwieriges Kind. Zu der sie ohnehin keinen Zugang hätte. Wie auch, ist laut eigener - mit hohnendem Gelächter posaunte - Aussage ja eh nur das "Halbenkelkind". Nie würde sie mit meiner Tochter in den Urlaub fahren. Das sei mit einem solch komplizierten und missratenem Kind nicht möglich. Außerdem ist die Mutter dieses Halbenkelkindes auch nicht besser. Daher fahren die lieben Eltern lieber zum Sohnemann - 2,5 Autostunden entfernt. Tatsächlich sind sie dort etwa alle 4 - 6 Wochen. Bei mir etwa 2 Mal im Jahr: zu meinem Geburtstag und dem meiner Tochter.

Die Äußerungen über meine Tochter (die, ohne es rechtfertigen zu wollen, ein wirklich tolles Kind ist!) tun mir endlos weh. Dass ich nicht gut genug bin, weiß ich. Auch, dass ich es nie war und nie sein werde. Aber dass sich nun meine Tochter diesen Schuh anziehen soll, geht mir zu weit.

Morgen war anlässlich meines Geburtstag die kurze Anwesenheit dieser "Eltern" angedacht. Ich sehe momentan keine Veranlassung, mir diesen Tag mit solch' unnormalen, komplizierten, missratenen und schwierigen Menschen zu versauen.



Sonntag, 8. Juni 2014

Heimat. Optimismus. Erinnerungen.


"Home is where your heart is", heißt es doch so schön. Wo mein Herz in räumlicher Sicht ein Zuhause baut, das weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, wo mein Herz Purzelbäume schlägt. Nämlich in der Heimat. Dabei ist Heimat ziemlich übertrieben. Gerade mal drei Jahre habe ich dort gewohnt. Meine Oma aber noch ein Weilchen länger und die Besuche dort, ohne Eltern, oder auch die Besuche mit meiner Oma bei dortigen Bekannten bleiben so unvergessen, dass von Heimat gesprochen werden darf.

Dieses kleine Dorf ist gar nicht so weit weg von meinem jetzigen Wohnort. Trotzdem bin ich viel zu selten dort. Und wenn, dann ist das Ziel der Reise die Arbeit auf dem Friedhof, wo mein Opa und meine Urgroßeltern begraben sind. Wo die Toten ruhen musst du leise sprechen und sachte gehen. So sagte man früher. Heute rede ich normal, gehe aber immer noch vorsichtig. Was drin ist, ist drin. Aber auch dieser Friedhof ist ein Ort, an dem ich gern bin. Wobei "gern" vielleicht auch übertrieben ist. Ich mag es, wie dieser Ort angelegt ist. Und das ich meinen Verwandten quasi irgendwie mal 'Hallo' sagen kann.


Ich schaue bei jedem Besuch zuerst, ob die Tür der Kirche geöffnet ist. Dieses Mal hatte ich Glück und der Pfarrer, der übrigens noch traditionell gegenüber der Kirche wohnt, hat aufgeschlossen. Diese klamme, modrige und alt-unterkühlte Geruch ruft in mir etwas Vertrautes hervor. Ich betrete die Kirche grundsätzlich mit leichter Beklemmung. Schaue mich um. Gehe ein paar Schritte. Schaue vorsichtig in das Altarbuch. Sehe mich wieder um und frage mich, wie das wohl früher war. Welche Leute hier saßen. Was der Pfarrer gesprochen hat. [ich bin nicht kirchlich] Noch heute liegt auf dem Altar die gehäkelte Decke meiner Uroma. Stolz.
 Nach getaner "Arbeit" ist eine kleine Runde durch's Dorf unverzichtbar. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich das "Schloss" sehe, in dem ich Prinzessin gewohnt habe. Das Schloss ist in Wirklichkeit ein altes Gutshaus. Seit dem Auszug meiner Oma ging es mit dem optischen Zustand arg bergab. Der einst liebevoll angelegte Garten verwildert, vom Hühnerstall ist nichts mehr zu sehen. Mehrere Investoren versuchten sich seither daran. Einer fand' orange Fassade scheinbar toll. Aber um ausreichende Sanierung wurde sich nicht gekümmert. Heute sind die Feuchtigkeits- und Schimmelflecken äußerlich sichtbar. Leider. Drei Mietparteien nennen diesen Ort jedoch heute ihr Zuhause. Darunter ein alter Mann. Glatze. Sichtlich ungepflegt. Er quälte sich auf zwei Krücken die Treppen hinab. Um den Hals einen Stoffbeutel. Von weitem grüßte er sehr freundlich. Wir unterhielten uns. Seine Beine in Bandagen. Dürr. Vermutlich leidet er unter Muskelschwund, MS oder etwas derartigem. "Sind meine Gänse noch zu sehen oder war der Gänsedieb schon da? Das muss ich immer überprüfen. Diesen Tieren darf man doch nichts zuleide tun." Sie waren noch da. "Wissen Sie", sagte er und zeigte auf den Stoffbeutel um seinen Hals, "ich habe hier mein Werkzeug drin und möchte diesen Tieren einen ordentlichen Stall bauen. So, wie er früher gewesen sein soll." Mein Herz tanzt. "Das ist zwar nicht so einfach für mich, aber ich kann ja auch auf allen vieren bauen. Man muss immer optimistisch sein." Wir erzählten ein Weilchen. Ich mag ihn. "Alles Gute für Sie. Und bleiben Sie unbedingt immer positiv", sagte er bei der Verabschiedung. Dieser Mann, der mit einem solchen Leiden weitab der städtischen Zivilisation lebt, hat mich stark beeindruckt.
Hier bin ich im Kellergewölbe mit meinem roten Dreirad auf und ab gefahren, während meine Oma Kohlen schüppte. Hier habe ich mit meiner Oma abends Musikantenstadl geschaut. Hier habe ich im Hühnerstall geharkt. Hier habe ich zum Frühstück die Eier ganz frisch aus dem Stall holen dürfen. Aber ich habe mir hier auch zweimal die Zähne ab-/ausgeschlagen.




An diesem Kuhstall, der heute brach liegt, musste ich als Kind immer vorbei, um zu meinem "Opa K." zu kommen. Ein alter Mann, der nur noch einen spitzen Zahn unten hatte und in Wahrheit lediglich ein Bekannter ist. Aber da ich nie einen Opa hatte, habe ich zu meinem gemacht. Er lebte mit seiner Frau und seinem Hund in einem kleinen, altertümlichen Häuschen hinter diesem Stall. Im Sommer saßen wir meist draußen unterm Birnenbaum und haben Memo gespielt. Ich gewann meist. "Du hast ja Augen wie ein Luchs!" Das sagte er immer. Und wenn wir nicht gerade Memo spielten, dem Hund Leckereien gaben, Birnen naschten, im Wald auf Entdeckungstour gingen, am schönsten See angelten oder 17und4 spielten, dann habe ich gelernt, wie man einen Bogen und einen Pfeil schnitzt und baut. Und wir haben um die Wette geschossen. DAS war Kindheit. DAS war ein richtiger Opa. Leider wurden beide irgendwann zu alt, um das Häuschen bewirtschaften zu können. So zogen sie ein Dorf weiter in eine Wohnung. Auch dort war ich oft. Abends gab es für mich immer das Schnittlauch-Omelett meiner "Oma K.". Niemand konnte und kann das so wie sie. Ich muss 12 Jahre alt gewesen sein, als meine Oma mir mitteilte, dass mein "Opa K." nun im Himmel ist. Ich weiß noch, welch' schlimmes Gefühl sich in mir breitmachte. Meine erste bewusste Erfahrung mit dem Tod. Und dann noch mein "Opa".