|| Angst

"Hallo - ich habe eine Angststörung."

2006 ein Tiefschlag der geschundenen Seele.
Kribbeln im ganzen Körper, Beklemmungen, Luftnot. Ich sterbe jetzt sicherlich.
Als ich wieder aufwachte, war da sofort dieses verkrampfte und zwanghafte Überlegen, was war. Diese Angst. Oh nein, es kommt sicher wieder. Oder fühle ich mich gut? Wie geht es mir denn? Da ist es wieder. Nein, ich muss hier weg. Raus. Ins Krankenhaus. Bevor...

"Sie sind körperlich völlig gesund. Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt." Hmm, der hat bestimmt etwas übersehen. Aber das hat der Hausarzt scheinbar auch. Nichts. Alles gesund. Aber warum geht es mir so schlecht? Was ist das? Lange wusste das niemand.

"Frau Flüsterkind, das sind Panikattacken!"
Bitte was? Nee, ich hätt' einfach gern nur ne Pille dagegen. Ich nehme die gern auch langfristig

Aber nichts da. Ich solle mich an einen Psychologen wenden. Schon wieder? Nein, auf Teufel komm raus wollte ich das nicht. Ich hab doch all mein Innenleben schon möglichst gut vermummt und versteckt, das hol ich nicht wieder raus.  Die Überwindung kam erst nach dem 5. Notarztbesuch. Weil ich jedes Mal wieder dachte, ich sterbe. Ich bekam nunmal gar keine Luft, zitterte am ganzen Körper, konnte nicht mehr geradeaus gucken und hatte einen gefühlten Puls von 529. Todesangst, ganz eindeutig! "Panikattacken haben viele Facetten", sagte sie. Die neue Psychologin. Mir war das sowas von egal. Ich wollte nur was dagegen haben. Bekam ich aber nicht.

Hyperventiliert habe ich. Das habe ich nach und nach begriffen. Und auch, was da in meinem Körper passiert. Aber die quälenden Fragen, WARUM ich darunter leide, WARUM es gerade mir passieren muss, WARUM ich das nicht unter Kontrolle habe, WARUM ich so schwach bin, die konnte ich mir Jahre lang nicht beantworten.

Und all das, wo ich doch mitten in der Ausbildung war. Ich konnte und wollte nicht "auf Krank machen" und Schwäche, die mich dann vielleicht wieder zurückwirft, konnte ich mir nicht erlauben - jetzt, wo ich mein Leben wieder gefunden habe. Ein Teufelskreis. Und immer diese erneute Angst vor der nächsten Attacke. Die Spirale drehte sich ständig in meinem Kopf. Doch wenn ich mich voll konzentriert mit meiner Arbeit befasste, ging es mir gut. Ich vergaß, daran zu denken. Doch dann kam die Heimfahrt, mit der ich wieder daran dachte und es mir schlecht ging. 


Zur Arbeit konnte ich mich aufraffen. Andere Aktivitäten kosteten mich sehr sehr viel Überwindung. Ich wollte möglichst Zuhause bleiben, denn das Krankenhaus ist nicht weit. Ich klügelte vor "Ausflügen" aus, wo das nächste Krankenhaus aus und wie lange ich dorthin bräuchte. Aber am Liebsten blieb ich doch einfach Zuhause.


Ich bin nicht sicher, aber ich kann mir vorstellen, dass ich zu dieser Zeit eine Art depressive Verstimmung hatte. Somit hatte ich zweierlei Übel: Panik und vorübergehende Depression.


"Am Besten, sie begeben sich in eine stationäre Behandlung."


Schon wieder abschieben? Stationär? Aber ich habe doch eine Ausbildung! Das geht nicht.

Aber es war der einzige Weg, der Sinn machte.

So suchte ich das Gespräch mit meinem damaligen Chef.
  Ihr könnt' mir alle erzählen, was ihr wollt, aber keiner, wirklich keiner hat einen besseren Vorgesetzten als ihn. Ein grandioser Mann mit Blick auf das Potenzial eines Menschen, unabhängig äußerer Erscheinungen oder Missstände im bisherigen Leistungsnachweis. Ich verdanke ihm viel, verdammt viel. Von ihm gab es grünes Licht für meine Therapie. Er wusste von meiner Psyche und gab mir die Therapie auch als menschlichen Rat mit auf den Weg.



So begab ich mich in die teilstationäre Therapie.
Komisch war das, anfangs. War ich doch irgendwie die Jüngste. Und der Ablauf... morgens Frühstück, jeder war abwechselnd dafür verantwortlich. Lockere Gruppengespräche. Verlaufsgespräche mit den Therapeuten. Einmal die Woche Einzelgespräch mit der Psychologin. Ansonsten noch Sport, kognitive Therapie, kreatives Austoben ... Am Nachmittag ging es wieder nach Hause. Es fing an, mir zu gefallen. Ich tat etwas für mich. Und ich lernte Menschen mit ähnlichen - teils auch mit schlimmeren - Problemen kennen. Eine Person hat es mir da besonders angetan, noch heute fühle ich mich sehr zu ihm verbunden und habe ihn richtig lieb gewonnen. Allein dafür hat sich die Therapie gelohnt! Während der 6-wöchigen Therapie erschien es mir so, als hätte es nicht wirklich geholfen. Die Symptome waren allesamt noch da. "Ich habe das Gefühl, Sie sind noch reifer geworden", sagte irgendwann im Nachgang mal mein Chef zu mir. Ja, vermutlich hat er recht. Denn auch wenn die vordergründigen Symptome in der Therapie nicht wirklich bekämpft wurden, so hat es mich doch selbst ein Stück weitergebracht: zu mir selbst. Und das ist eben ein unbewusster Prozess, der sich nicht mittels Vorher-Nachher-Vergleich unmittelbar faktisch feststellen lässt.

Doch die Angst, die war noch da. In größeren Abständen. In anderer Weise. Sie kam plötzlich, aus dem Nichts. Beim Essen, beim Aufstehen, beim Einkauf ... einfach so. Das ist das Tückische: Man weiß nie, wann sie wieder zuschlägt. Und das macht Angst. Angst vor der Angst. Aber ich wollte da raus, raus aus diesem Teufelskreis, rein in das Wohlbefinden. Mit Yoga fand ich einen Ansatz. Ein Kurs an der VHS ermöglichte mir das Erlernen dieser durchaus schweißtreibenden Entspannungsmethode. Und genau im Laufe dieser Zeit hörte es auf. Weg war sie, die Angst. Und mit ihr auch der ehemalige Partner.

Mit neuem Partner an meiner Seite war die kleine fiese Hirnzelle mit dem zwanghaften Gedanken "Angst" völlig zerstört. Es gab sie nicht mehr. Yipppiiee, endlich!

12 Stunden quälte ich mich schon - und es wollte nicht aufhören. "Mein Magen, er tut so weh...". Doch keine Hebamme wusste sich hierzu einen Rat.12 Stunden quälte ich mich schon - und es wollte nicht aufhören. Kein Ende in Sicht. Ich kann es nicht kontrollieren, die Schmerzen kann mir keiner nehmen. Ich konnte nicht mehr. Mein Magen drückte so fies, mein Herz sprang mir aus der Brust, ich fühlte mich elendig. Wie kurz vorm Aufgeben.

Mit Geburt meiner Tochter war natürlich sämtliche Quälerei vorbei und es ging mir gut.

Woow, so ist es nun. Du bist Mama. Das ist deine Tochter. Ein neues Leben beginnt. Unendliche Freude.

Seltsame Gefühle dann im Wochenbett. Ich fühlte mich leer, war appetitlos, überfordert, teilnahmslos. "Passen Sie auf, dass Sie nicht in eine Psychose geraten", sagte meine Nachsorgehebamme. Wieder Angst. Angst, in eine Psychose zu geraten.

"Fährst du mich ins Krankenhaus?", fragte ich.  Dreimal fuhr eine liebe Freundin mit mir in die Notaufnahme und verbrachte mit mir etliche Stunden dort . Diagnose: Nichts. Sie sind völlig gesund. "Aber es könnte doch... die Hormone mangels Antibabypille ... oder eine Störung der Schilddrüsenfunktion...oder irgendwas mit'm Blutdruck...sonst machen 'se doch mal 'n EKG, irgendwas is da - bestimmt." Doch all das war in bester Ordnung. Ich heulte. Überströmt mit Tränen jammerte ich den Arzt voll, dass das doch so nicht ginge, ich habe ein kleines Kind Zuhause, wie soll ich das... ich schaff das nicht ... ich kann nicht. Hilfe!

"Frau Flüsterkind, das sind Panikattacken!"
Neeein! Nein. Das sind keine. Ich mach' das nicht noch einmal durch. Vergessen Sie's!

Es war einmal die Angst ... | Teil III
So kam ich nach Hause, mit dem neuen Wissen. Meine Tochter lag  im Bett, weinte. Ich konnte es nicht hören, musste den Raum verlassen. Ein grausiges Gefühl. Weil es mir im Herzen weh tat, dass ich ihr Geweine nicht hören konnte. Nicht für sie da sein kann.

Die Gedanken an den bevorstehenden Tag brachten mich um den Schlaf. Ich war tagsüber allein, mit Kind. Und mit der Panik. Mit diesem komischen Gefühl der Leere, Traurigkeit und Abgeschlagenheit. Geschwächt, weil ich nichts essen konnte.

Irgendwie bekam ich die Tage rum, doch immer wieder diese Gefühle. Ich igelte mich ein, mehr und mehr. Und immer öfter fuhr ich zu meinem Hausarzt, einfach nur so. Zum Reden. Um mich sicher zu fühlen. Ich wusste ja, sollte ich einen Herzinfarkt bekommen, mir der Magen reißen oder ich umfallen: er kann mir sofort helfen. Und er half mir, aber anders. So bekam ich umgehend einen Termin bei einer ehemaligen Psychologin, die nunmehr als Heilpraktikerin tätig ist. Wieder ein Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Sechs Mal war ich dort, bezahlte pro Sitzung 50 €. Ich hätte sicher auch das Dreifache bezahlt. Denn es half mir. Sie sprach mir Mut zu, erklärte mir Zusammenhänge, führte eine kurze Familienaufstellung mit mir durch. Immer wieder fragte ich, ob ich wieder gesund werde, ob das alles irgendwann aufhört. Ob ich gut für mein Kind sorgen kann. Ich wollte Fakten, ich wollte hören, dass alles am Tag xy vorbei ist und nie wieder kommt. Schwer einzusehen, dass mir das niemand sagen kann und konnte. Aber der Zuspruch kam auf andere Weise, woran ich heute noch immer denke. So z. B., dass mir das beim nächsten Kind nicht widerfährt. Daran hangele ich mich entlang. Und alles half mir über die schlimmsten Attacken hinweg. Was blieb war die Angst und die Leere, schleichend, nahezu sanft - aber immer da.

In der Zwischenzeit besorgte ich mir regulär einen Termin bei einer Psychologin, meiner jetzigen. 7 Monate war meine Tochter schon alt, als ich mit der ambulanten Therapie begonnen habe. 7 Monate, in denen es mir nicht gut ging, in denen ich nicht so Mama sein konnte, wie ich wollte, in denen ich diese einzigartige Zeit nicht so genießen konnte, in denen ich mich einfach selbst hemmte - und die Auswirkungen überall spürbar waren. Das tut mir noch heute weh und ich wünschte mir fast nichts mehr, als die Zeit zurückzudrehen und dabei eine Mama zu sein, die sich rundum gut fühlt. Leider geht das nicht und so kann ich nur versuchen, die Zeit, in der ich mich gut fühle, bestmöglichst mit meiner Tochter zu nutzen. Denn die böse, mächtige und alles beherrschende Angst, die gibt es nicht mehr.


Die Angst in mir.
Sie ist da. Und sie bleibt ein Teil von mir. Ich darf sie nur nicht ablehnen. Und das ist sehr schwer.

Meine Symptome besserten sich mehr und mehr. Es war nie ganz weg, aber ich hatte wieder Freude am Dasein und konnte mal an was Anderes denken, als nur an diese Angst. Ich erkannte immer mehr, warum es die Angst gibt, was sie will und wie ich mit ihr umgehen kann. Das ich unter der Geburt Panikattacken hatte, begriff ich auch erst sehr spät. Dieses Magendrücken, das hatte ich nach und in dem Wochenbett auch. Und ich verstand, warum es mich während der Geburt heimsuchte: Ich fühlte mich ausgeliefert, ohne Kontrolle über meinen Körper, der nicht enden wollende Schmerz, dieses totale Fertigsein. Das war einfach mal zu viel. Und natürlich hatte ich auch in dem Moment ganz normale Angst. Wie jeder andere eben auch. Das erneute Aufeinandertreffen von Angst und mir kam im Wochenbett - sicherlich einerseits durch hormonelle Veränderungen, andererseits durch die mir neu zugetragene Aufgabe: Mama sein. Ich wusste auch nicht, wie, wo, was, wann, wozu... Das hat mich alles schlichtweg erstmal überfordert und ich fühlte mich unwohl, in dieser unsicheren Verantwortung. Schlimm? Nein. Das ist doch völlig normal. Nur dass sich bei mir solch Gefühle und Gedanken anders niederschlagen, als bei vielen anderen. Und das muss ich nun mal akzeptieren. Und ist sie erst einmal da, die Panikattacke, dann bleibt stets die Angst vor der Nächsten, was das Ganze zu einem außerordentlichen Dilemma macht. Und genau da muss man ansetzen. Versuchen, auszubrechen. Was hilft da? Ganz unterschiedlich. Tagesformabhängig, typenindividuell. Laute Musik, schöne Träumereien - in die man regelrecht eintauchen kann, Gespräche, singen, rausgehen, auspowern, malen... im Grunde einfach die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, wenn möglich, diese nach außen richten. Bewusst Stoffe und Gegenstände fühlen, ganz bewusst etwas riechen, schmecken, oder Dinge zählen, die man gerade im Augenwinkel sieht. An möglichen Möglichkeiten mangelt es eigentlich nie. Nur ist es mehr als schwer, das ganz bewusst zu steuern. Weil eben die Gedanken immer wieder kommen, zwanghaft. Das dauert und kostet Kraft und Überwindung. Aber irgendwann schafft man es, immer ein bisschen besser.

Ich verstand zunehmend, dass die Panik mir auch was sagen möchte. Denn bewusst auf mich zu achten, insbesondere auf Gedanken und Gefühle, dass habe ich im Tiefpunkt verlernt - und verdrängt. Das wollte ich einfach nicht mehr. Aber irgendwie muss die Seele auf sich aufmerksam machen, und wie heißt es so schön? "Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." So in der Art stell ich mir das vor. Die Angst und auch die Panikattacken wollen mir zeigen, dass momentan etwas nicht gut läuft, dass es mir gefühlsmäßig auch gar nicht gut geht - was ich bewusst nicht spüre. Es hat sich eine Art Automatismus in mir entwickelt: Ich mache, tue, funktioniere, denke - aber ich bin nicht bewusst ich. Alles, was sich mal unwohl denkt oder fühlt, wird gleich weggeschoben. Das kann klappen, aber nicht auf Dauer. Und wenn der Knoten mal platzt, dann kommt eine Attacke. Ich weiß dann, dass ich in mich hineinhorchen muss und mal genau schaue, was denn so los ist, wie ich mich fühle, was mir nicht gut tut, was ich ändern müsste, wie ich mir Gutes tun kann usw.
Eigentlich ist das gar nicht so verkehrt? Eine Art Warnsignal der Seele: "Denk an dich".

Ist heute so etwas im Anflug, weiß ich, wie ich damit umgehe. Oder besser gesagt, wie ich das verhindere. Und zwar mit dem gezielten Ablenken. Das ist oft grenzwertig. Als stehe ich  kurz vorm Abgrund und verliere das Gleichgewicht, finde den rettenden Stein zum Festhalten aber noch. Ich merke, wie schnell ich mich hingeben kann und brauche viel Kraft, um es nicht zu tun. Doch diese Momente sind selten geworden. Was nicht heißt, dass die Angst nicht präsent ist. Oft habe ich den Zwang, ganz tief Luft holen zu müssen, immer und immer wieder. Oder aber ich kann nicht schlucken - weil der Zwang da ist, es zu oft tun zu wollen. Irre seltsam - und unangenehm. Meist überkommt es mich, wenn ich zur Ruhe komme. Und häufig ist  das der Fall, wenn ich abends im Bett liege. Einschlafen fällt dann schwer. Aber irgendwie klappt es immer. Und jedes Mal versuche ich herausfinden, warum die Angst "Hallo" sagt. Die Antwort darauf finde ich etwa in 1 % aller Vorfälle. Daran muss ich also noch arbeiten. Ich will daran arbeiten. Ich möchte einfach ich sein können, wissen, was mir gut tut, was mich bewegt, ... ganz bewusst Gedanken und Gefühle empfinden können. Ohne diesen fortlaufenden Automatismus des Verdrängens. Und ja, dazu gehören eben auch unangenehme Gefühle.

Stolz bin ich darauf, dass ich nie Medikamente genommen hab. Nur hin und wieder mal Globuli oder Schüssler Salze, was ja keine Medikamente in dem Sinne darstellt. Und ich bin stolz auf meine Fortschritte. Ich kann die Symptomatik der Angst in Etwa einordnen, fahre nicht immer und gleich zum Arzt. Und ich habe die Lebensfreude wieder. Das, was noch immer da ist, ja damit könnte ich leben. Aber ich sehe es weiterhin als Signal meiner Seele und arbeite daran. Bis meine Gedanken- und Gefühlswelt wieder im Lot meiner Selbst ist.

1 Kommentar:

  1. Willkommen im Club :)
    Schön zu hören dass es noch mehr junge Leute trifft! Ich war immer auf der Suche nach Leuten mit denen ich mich austauschen kann, ist echt schwer weil man unter Freunden so schlecht verstanden wird. Ich war auch in ambulanter therapie, seitdem gehts mir wieder besser. Angst kommt jetzt nur noch bei extremer verspannung.
    Vielleicht magst du ja mal bei mir vorbeischauen!
    Lg Laura
    buntesvomland.blogspot.de

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