Sonntag, 8. Juni 2014

Heimat. Optimismus. Erinnerungen.


"Home is where your heart is", heißt es doch so schön. Wo mein Herz in räumlicher Sicht ein Zuhause baut, das weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, wo mein Herz Purzelbäume schlägt. Nämlich in der Heimat. Dabei ist Heimat ziemlich übertrieben. Gerade mal drei Jahre habe ich dort gewohnt. Meine Oma aber noch ein Weilchen länger und die Besuche dort, ohne Eltern, oder auch die Besuche mit meiner Oma bei dortigen Bekannten bleiben so unvergessen, dass von Heimat gesprochen werden darf.

Dieses kleine Dorf ist gar nicht so weit weg von meinem jetzigen Wohnort. Trotzdem bin ich viel zu selten dort. Und wenn, dann ist das Ziel der Reise die Arbeit auf dem Friedhof, wo mein Opa und meine Urgroßeltern begraben sind. Wo die Toten ruhen musst du leise sprechen und sachte gehen. So sagte man früher. Heute rede ich normal, gehe aber immer noch vorsichtig. Was drin ist, ist drin. Aber auch dieser Friedhof ist ein Ort, an dem ich gern bin. Wobei "gern" vielleicht auch übertrieben ist. Ich mag es, wie dieser Ort angelegt ist. Und das ich meinen Verwandten quasi irgendwie mal 'Hallo' sagen kann.


Ich schaue bei jedem Besuch zuerst, ob die Tür der Kirche geöffnet ist. Dieses Mal hatte ich Glück und der Pfarrer, der übrigens noch traditionell gegenüber der Kirche wohnt, hat aufgeschlossen. Diese klamme, modrige und alt-unterkühlte Geruch ruft in mir etwas Vertrautes hervor. Ich betrete die Kirche grundsätzlich mit leichter Beklemmung. Schaue mich um. Gehe ein paar Schritte. Schaue vorsichtig in das Altarbuch. Sehe mich wieder um und frage mich, wie das wohl früher war. Welche Leute hier saßen. Was der Pfarrer gesprochen hat. [ich bin nicht kirchlich] Noch heute liegt auf dem Altar die gehäkelte Decke meiner Uroma. Stolz.
 Nach getaner "Arbeit" ist eine kleine Runde durch's Dorf unverzichtbar. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich das "Schloss" sehe, in dem ich Prinzessin gewohnt habe. Das Schloss ist in Wirklichkeit ein altes Gutshaus. Seit dem Auszug meiner Oma ging es mit dem optischen Zustand arg bergab. Der einst liebevoll angelegte Garten verwildert, vom Hühnerstall ist nichts mehr zu sehen. Mehrere Investoren versuchten sich seither daran. Einer fand' orange Fassade scheinbar toll. Aber um ausreichende Sanierung wurde sich nicht gekümmert. Heute sind die Feuchtigkeits- und Schimmelflecken äußerlich sichtbar. Leider. Drei Mietparteien nennen diesen Ort jedoch heute ihr Zuhause. Darunter ein alter Mann. Glatze. Sichtlich ungepflegt. Er quälte sich auf zwei Krücken die Treppen hinab. Um den Hals einen Stoffbeutel. Von weitem grüßte er sehr freundlich. Wir unterhielten uns. Seine Beine in Bandagen. Dürr. Vermutlich leidet er unter Muskelschwund, MS oder etwas derartigem. "Sind meine Gänse noch zu sehen oder war der Gänsedieb schon da? Das muss ich immer überprüfen. Diesen Tieren darf man doch nichts zuleide tun." Sie waren noch da. "Wissen Sie", sagte er und zeigte auf den Stoffbeutel um seinen Hals, "ich habe hier mein Werkzeug drin und möchte diesen Tieren einen ordentlichen Stall bauen. So, wie er früher gewesen sein soll." Mein Herz tanzt. "Das ist zwar nicht so einfach für mich, aber ich kann ja auch auf allen vieren bauen. Man muss immer optimistisch sein." Wir erzählten ein Weilchen. Ich mag ihn. "Alles Gute für Sie. Und bleiben Sie unbedingt immer positiv", sagte er bei der Verabschiedung. Dieser Mann, der mit einem solchen Leiden weitab der städtischen Zivilisation lebt, hat mich stark beeindruckt.
Hier bin ich im Kellergewölbe mit meinem roten Dreirad auf und ab gefahren, während meine Oma Kohlen schüppte. Hier habe ich mit meiner Oma abends Musikantenstadl geschaut. Hier habe ich im Hühnerstall geharkt. Hier habe ich zum Frühstück die Eier ganz frisch aus dem Stall holen dürfen. Aber ich habe mir hier auch zweimal die Zähne ab-/ausgeschlagen.




An diesem Kuhstall, der heute brach liegt, musste ich als Kind immer vorbei, um zu meinem "Opa K." zu kommen. Ein alter Mann, der nur noch einen spitzen Zahn unten hatte und in Wahrheit lediglich ein Bekannter ist. Aber da ich nie einen Opa hatte, habe ich zu meinem gemacht. Er lebte mit seiner Frau und seinem Hund in einem kleinen, altertümlichen Häuschen hinter diesem Stall. Im Sommer saßen wir meist draußen unterm Birnenbaum und haben Memo gespielt. Ich gewann meist. "Du hast ja Augen wie ein Luchs!" Das sagte er immer. Und wenn wir nicht gerade Memo spielten, dem Hund Leckereien gaben, Birnen naschten, im Wald auf Entdeckungstour gingen, am schönsten See angelten oder 17und4 spielten, dann habe ich gelernt, wie man einen Bogen und einen Pfeil schnitzt und baut. Und wir haben um die Wette geschossen. DAS war Kindheit. DAS war ein richtiger Opa. Leider wurden beide irgendwann zu alt, um das Häuschen bewirtschaften zu können. So zogen sie ein Dorf weiter in eine Wohnung. Auch dort war ich oft. Abends gab es für mich immer das Schnittlauch-Omelett meiner "Oma K.". Niemand konnte und kann das so wie sie. Ich muss 12 Jahre alt gewesen sein, als meine Oma mir mitteilte, dass mein "Opa K." nun im Himmel ist. Ich weiß noch, welch' schlimmes Gefühl sich in mir breitmachte. Meine erste bewusste Erfahrung mit dem Tod. Und dann noch mein "Opa".





4 Kommentare:

  1. Danke fürs Mitnehmen in deine Heimat. Das ist so wundervoll geschrieben…
    Irgendwie komisch, dass einem manche Begegnungen so nachgehen.
    Aber umso schöner, dass sie einen berühren. In irgendeiner Art und Weise.
    Und das nächste Mal, wenn du da bist, ist der Mann mit seinem Stall für die Gänse vielleicht
    schon fertig. :)
    xo Julia

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    1. Danke für die lieben Worte und für das "Mitreisen" in die Heimat. Ich bin sehr gespannt, wie es mit diesem wundersamen Mann weitergeht. Das war sehr inspirierend. Gerade für mich, die bei jedem kleinen Ziehen im Kopf schon provisorisch auf der Couch liegt und die Nummer des Krankenwagens gedanklich durchgeht. ;) Und so jemand, der macht einfach weiter und lässt sich nicht unterkriegen. Toll!
      LG (:

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  2. Da hast Du wirklich in einem bildschönen Ort gelebt. Danke, dass Du diese tollen Bilder und Deine Erinnerungen hier mit uns teilst. Der Mann mit seinen Krücken hat mich jetzt auch beeindruckt, von solch einem Menschen könnten sich viele in der "Zivilisation" ein Scheibchen abschneiden.

    Liebe Grüsse
    Clara

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    1. Ich danke dir, dass du an meinen Erinnerungen teilhaben magst! :)
      Dieser Mann bleibt für mich bestimmt unvergessen. Und ich werde bei jedem Anflug von leichtem Kopfweh an den guten Mann denken - was der mit ganz anderen Schmerzen und Handicaps so alles kann. :)

      Sei lieb gegrüßt! (:

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Ich freue mich über jedes Wort.