"Sei doch nicht so naiv und glaub, dass du etwas verändern kannst. Das ist Kapitalismus. Niemanden interessiert deine Meinung. Und soziale Gerechtigkeit."
Das möge man sich mit einem latent-agressiven und belächelndem Unterton vorstellen. So kam es mir vor zwei Wochen auf einer Familienfeier seitens meines Stiefvaters entgegen. Vorangegangen waren in sich rotierende Diskussionen über unmittelbare Politik - im weitesten Sinne. Und so Sachen über's Studium. Dass er sein Studium eben besser bewältigt hätte. Alles gepaart mit einem Lächeln à la "Kind, was bist du dumm und blöd." Quasi so, wie ich es seit jeher kenne. Egal was ich sage oder mache, es wird belächelt. Weil dumm. Und blöd. Da passiert es dann an besagtem Tag, dass mir der Hintern platzte. Ich habe geweint vor Wut, ihm was von Toleranz, verschiedenen Ansichten und eigenen Erfahrungen entgegengebrüllt und ihm vorgeworfen, dass er mich ständig wie eine 5-jährige behandelt und dies gefälligst mal sein zu lassen hat, da nicht er der Allmächtige & Allwissende ist und es ihm schon gar nicht zusteht, mich so zu behandeln. Und ob er denn schon mal was von sachlichen Diskussionen gehört hätte. Alles unter Tränen. Alles vor versammelter Mannschaft. Mit anschließendem Abgang meinerseits.
Ihm täte es leid. Er wolle mich doch nur bewahren. Bla bla... War mir völlig Banane. Ich hatte es einfach nur satt, dass kleine Kind mit rosagemalter Ansicht zu sein. Meine Mutter verpasste meinem Vater zwar einen Dämpfer, war anschließend aber doch sauer auf mich. Schließlich war wieder ich mal die Ursache eines Disputs zwischen ihnen. Vielleicht auch diesmal wieder mal, wie in den vergangen Jahrzehnten, möglicher Trennungsgrund.
Auf dem Heimweg gingen mir aber dann doch wieder Sachen durch den Kopf wie "Bist du eigentlich zu überempfindlich? Hast du nicht doch überreagiert? Er hat es dieses Mal vielleicht doch gar nicht so bös' gemeint? Ja na klar, du hast völlig unangemessen reagiert. Und nun, nun haste einen Bruch in diese möchte-gern-Eltern-Flüsterkind-Beziehung gebracht. Jetzt lassen se dich links liegen. Ruf ma' besser morgen an und entschuldige dich."
Ich habe bis heute nicht angerufen. Und ich werde es auch nicht. Ob ich überreagiert habe? Ja, die Frage quält mich. Aber ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass da ganz viel Angestautes aus mir herausbrach. Ob ich wirklich dumm und naiv bin? Weder noch. Ich schreibe mir selbst eine gewisse Intelligenz zu. Zwar auch eine gewisse Naivität, aber nicht diesbezüglich. Ich trage aber einen kleinen Kämpfer in mir, der sich nicht so schnell entmutigen lässt, in dieser Welt etwas Gutes zu schaffen. Und ich möchte kein Ellenbogen-Arschlochtyp werden, dessen Mund vor Profitgier nicht mehr zu schließen ist. Selbstverständlich möchte ich auch einen angemessenen Lebensunterhalt erwirtschaften, aber nicht auf Kosten anderer infolge mangelnder sozialer Betrachtung. Ich wurde nicht geboren, um ein Ego zu sein. Ich bin da mehr so der 'wir-Typ'. Ich könnte nicht mal einschlafen, wenn das mir reingeschaufelte Geld zulasten des Glücks eines anderen geht. Aber gerade das soll ich können, das predigt mir mein Vater ewig. Denn niemand wird sich für mich interessieren, warum soll ich mich also für andere interessieren? Na genau deswegen! Wie furchtbar wäre diese Welt, wenn jeder Einzelne so denkt? Die Erkenntnis, dass ein Miteinander in Bezug auf Beruf & Karriere oder auch weitere Sachen schwer ist, habe ich bereits gewonnen. Ich habe oft bemerken müssen, wie der Herr Hase so läuft. Trotzdem möchte ich so nicht agieren. Ich werde die Welt nicht verändern, aber ich kann in meinem Umfeld authentisch sein. Und für das einstehen, was ich mir wünsche.
Wieso fragt sich denn keiner, ob Dein Stiefvater überreagiert? Wie kann man denn so dermaßen unsensibel sein, mitten auf einer Feier vor anderen Leuten einen anderen erwachsenen Menschen (Dich) wie eine unwissende 5jährige darzustellen? Was versucht er denn damit zu bezwecken? Wenn ich mir Sorgen um jemanden machen würde, der mir wichtig ist, dann würde ich unter 4 Augen mit diesem Menschen reden. Im Dialog. Und keinen Monolog halten. Wenn Du so schon zu oft behandelt wurdest, dann ist es normal, dass Du so ausgeflippt bist. Entschuldigen? Wofür denn? Dein Stiefvater und auch Deine Mutter sollten verstehen lernen, dass es eine normale Reaktion auf ihr Verhalten Dir gegenüber war. Wie man in den Wald hinein ruft...
AntwortenLöschenIch bin auch nicht der Ego-Typ, der auf andere pfeifft der eigenen Vorteile wegen. Das muss man aber auch nicht sein, ich erlebe immer wieder, wie sich ganz andere Wege zeigen, wenn man eben nicht so eogistisch drauf ist. Das können sich nur die Eogisten nicht vorstellen, dass es anders geht. Immer nur kämpfen und bei Seite schubsen - am Ende hat da aber keiner was von. Es geht auch anders und es ist mutig von Dir, dass Du das für Dich auch anders handhabst. Egal was die Besserwisser sagen :)
Liebe Grüsse
Das hast du schön geschrieben! :)
LöschenIch hege in erster Linie immer Selbstzweifel. So wurde es mir anerzogen, dass ICH diejenige bin, die entweder etwas falsch macht, falsch fühlt oder falsch reagiert. Ich lerne noch, dass künftig anders zu sehen.
Der Grund, dass mein Stiefvater so stets reagiert ist der, dass er selbst der Schönste, Klügste und insgesamt Beste ist. Alle anderen Menschen taugen nichts, die sind eh unter seinem Niveau. Auch ein Grund dafür, dass er keine Freunde hat. Toleranz ist für ihn ein Fremdwort, Respekt ohnehin. Er hat mich schon immer so vor versammelter Mannschaft vorgeführt, mich immer lächerlich gemacht. Selbst, wenn im Nachhinein andere zu mir hielten, versaut war es stets durch diesen einen Moment, in dem er mich bloßgestellt hat.
Verständnis haben meine "Eltern" nie für mich gehabt. Warum auch, wenn ich sowieso immer falsch reagiere? ;)
Schön, dass auch du nicht der Ego-Typ bist. Und das sollte man auch nie werden. Wir Menschen sind nunmal soziale Wesen. Ob im Job, privat oder anderswo. Die Menschheit funktioniert ohne 'wir-Gefühl' nicht und daran halte ich auch fest.
Sei lieb gegrüßt! :)
Hört sich ganz schön narzisstisch an, Dein Stiefvater. Aber Du bist ja dabei auch umzulernen und irgendwann wirst Du ihn vermutlich gar nicht mehr ernst nehmen können, weil Dir bewusst wird, wie lächerlich der Mensch sich selbst macht. Ich war auch immer die, die "falsch" reagiert hat - keine Bange, irgendwann merkst Du, dass genau DAS zu Deinen Stärken gehört und dann können sich die Besserwisser warm anziehen :)
LöschenRichtig, ohne "wir-Gefühl" geht es nicht. Das wird irgendwann auch der letzte kapieren, davon bin ich überzeugt!
Lg!